Die Augen der Kickerwelt sind auf Deutschland gerichtet. Das liegt nach dem Goldrausch bei der letzten WM 2022 an der Qualität der Athleten und Athletinnen. Andererseits am Spielgerät selbst, dem deutschen Heimtisch "Leonhart", der sich weltweit großer Beliebtheit erfreut. Gebaut wird der im niederbayerischen Outback in der Gemeinde Pilsting in einer Traditionsschreinerei. Seit 1949 wird hier geschreinert, seit den 60ern sind Kicker- und Billardtische die Spezialität des Hauses. Für die Weltmeisterschaft, aber auch für Nostalgiker und deren Hobbykeller. Darauf legt Christian Fiedler, Firmenchef in dritter Generation Wert.
Hinter Bäumen und Büschen versteckt, am Gleisbett des stillgelegten Containerbahnhofs Harburg am Rande der Gemeinde Pilsting, versteckt sich ein Werksgelände. Auf den ersten Blick wirkt alles wie ein mittelständischer Schreinereibetrieb im klassisch bayerischen Stil. Große wummernde Maschinen, der Geruch von Holzspan, Bayern 3 Pophits aus dem Baustellenradio, Kalender von leicht bekleideten Damen und Herren eines Bohrmaschinenherstellers, Fanschals von den Münchner Löwen. Nur der Ausstellungsraum mit Kickern in allen Formen und Farben verrät, dass hier einer der größten Kickerhersteller Europas beheimatet ist. Alles versprüht hier die Atmosphäre von Werkstatt und Museum zugleich. Exemplarisch dafür: In goldenen Rahmen und Öl gemalt thronen die Konterfeis der Firmengründer Xaver und Johanna Leonhart an der Wand, bevor man ins Büro eintritt.
Dort sitzt auf dem Schreibtisch Christian Fiedler, der Urenkel. Mit seinem Bruder Andreas lenkt er die Geschicke der rund 20 Mitarbeiter. Er ist der Stratege, sein Bruder Andreas die ausführende Hand. Fiedler trägt Jeans, Chucks, hat die Haare zum Zopf nach hinten gebunden und könnte auch Bassist einer 80er-Indie-Rockband sein. Dass er nun Kickertische vertreibt liegt am Uropa. „Der hat immer schon kreativ gedacht und Dinge ausprobiert, zum Beispiel auch gern gezaubert. Als er 1949 die Firma gegründet hat, brauchte es aber noch andere Dinge als Kickertische“, erklärt er. In der Nachkriegszeit wurden hier pragmatische Klappmöbel gebaut, platzsparend, angepasst an die bescheidenen Lebensumstände zu der Zeit.
Das erste Modell "Turniersieger" wird in den 50ern gebaut und setzt sich in den 60ern auf dem Markt durch. Auf einer internationalen Messe begegnet Xaver einem Aussteller, der ihn von der Kickeridee überzeugt. Er spielt selbst gerne. Wenig später werden in Handarbeit die ersten Tische gefertigt, solide gebaut, mit Qualitätsversprechen. "Wenn ich eine Bohrmaschine von einem namhaften Hersteller kaufe, erwarte ich, dass sie nicht beim ersten Arbeitseinsatz den Geist aufgibt. Dafür kostet sie halt ein bisschen was. So ist es bei unseren Kickertischen", meint Fiedler. Dieser Ansatz trägt auf lange Sicht Früchte, sorgt mittelfristig aber für Probleme. Die Kooperation mit dem Spielautomatenhersteller "Löwen Automaten" bringt in den 80ern den ersten Boom und ein volles Auftragsbuch. Der rot-blaue Löwensoccer erobert von Niederbayern aus, die Wirtshäuser, Kneipen und Discotheken des Landes. Bis ein Konkurrent billiger produziert, Teile günstig aus dem Ausland bezieht und Leonhart aussticht. Der Löwen-Deal ist weg. Das Personal muss um die Hälfte auf den heutigen Stand abgebaut und die bis dato eher unbekannte Eigenmarke etabliert werden.
Das ist bis heute Fiedlers Hauptaufgabe. Dabei erschließt er wie der Urgroßvater neue Wege. In diesem Fall, den Sport Tischfußball. Mitte der 2000er baut er eine Kooperation mit dem deutschen Tischfußballbund auf. Ein paar Jahre später ist er ein wichtiger Spieler einer Kampagne, um Kickern als anerkannten Leistungssport zu etablieren. "Die Logistik, Organisation, Anfertigung, Wartung und Spedition, dass hunderte Tische durch Europa, zur WM nach Frankreich und paar Wochen später ins Saarland zur Leonhart World Series transportiert werden, tragen aktuell wir". Bei steigenden Energiepreisen ein hoher Tribut. Dafür erfreut sich der "Leo" in der internationalen Szene immer größerer Beliebtheit. In den Niederlanden und Tschechien ist er schon etabliert. Mit dem erfolgreichen österreichischen Verband gibt es eine neue Kooperation. In diesen Tagen findet das erste offizielle ITSF-Turnier, das in Österreich auf "Leo" gespielt wird statt.
In einem entlegenen Winkel der Werkstatt steht die Führung ihrem Ende bevor. In der hauseigenen Schlosserei fertigt ein Mitarbeiter, unter Beobachtung seines Hundes, die Metallbeine an, die später mit eigens angerührtem Beton beschwert werden. Fiedler erinnert sich: "Da sind wir gestanden". Er, ein Marketingbeauftragter und ein deutscher Topspieler. "Dann haben wir diskutiert und aufeinander eingeredet, was auf der Homepage im Vordergrund stehen muss. Das Produkt in Hochglanz, oder Menschen am Tisch, die Lifestyle vermitteln. Irgendwann hab ich gesagt, stopp: Wir machen beides. Das passt zu uns", erzählt Fiedler amüsiert.
Er wirkt wie jemand der aus Verantwortungsbewusstsein mit der Zeit geht, eigentlich aber längst aus ihr gefallen ist. Neben PR, WM und Marketing bauen er und sein Team auch noch die ganz alten Modelle in neu. "Wenn jemand mit seinem vierzig Jahre alten kaputten D-Mark Münzer kommt, dann reparieren wir ihn". Hauptgeschäftszweig sind nach wie vor Private und Firmen, die ihre individualisierten Kicker bekommen. "Ich dachte irgendwann ist doch jeder mal versorgt, zumal unser Zeug nicht kaputt geht. Aber es hört nicht auf". Wieder im Herz der Werkstatt angekommen steht Fiedler vor einem fast fertigen Tisch. Eine Mitarbeiterin zieht per Hand die Silikonfuge am Spielfeldrand. "Das machen nur wir", erwähnt Fiedler augenzwinkernd. „Da kann man auch mal ein Bier reinkippen, ohne dass alles in den Korpus läuft und sich verzieht". Er weiß selbst am Besten, dass das besagte Turniermodell wohl nie in die Nähe eines Bieres geraten wird.
Hier gibt es noch bewegte Eindrücke auf YouTube "Leonhart Kickertisch Produktion: How to build a table"